Über Schienen hoppeln: Zugfahren in Myanmar

Wo immer die Briten Kolonien hatten, haben sie ein Eisenbahnnetz hinterlassen. So auch in Myanmar. Es ist eines der preigünstigsten und sicher auch interessantesten Verkehrsmittel überhaupt, doch Fortbewegung mit Myanmar Railways heißt auch "Zeit mitzubringen".  Aber wenn man es nicht eilig hat, dann kann man sich schon einmal für ganze 11 Eurocent 3 Stunden durch die Landschaft schaukeln lassen, im Inneren des Wagons am Leben seiner Mitreisenden teilnehmen und an jedem Stopp dem Treiben auf den Bahnsteigen zusehen.

Dreimal haben wir uns dieses Vergnügen auf ganz unterschiedlichen Strecken gegönnt. Uns war zuvor nicht klar, welche Sprünge Eisenbahnwagons vollführen können, wobei sie sich zusätzlich so gegeneinander verschieben, dass der Durchgang zum nächsten Wagon nahezu blockiert ist. Unglaublich, dass sie nicht aus den Schienen springen. Auch wenn die Lokomotiven und Wagen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr aus der Kolonialzeit stammen (wir sind allerdings nicht ganz sicher) so gilt dies jedoch für viele Weichenanlagen und ein Blick entlang der Gleise erklärt einiges.

Unsere erste Tour führte uns mit dem Circular Train rund um Yangon. In diesem Zug fahren Einheimische zur Arbeit, zum Markt oder ins Zentrum. Hier wird ein- und ausgeladen, was irgendwie durch die Zugtüren oder -fenster passt. Für die 42km lange Gesamtstrecke um die Stadt herum benötigt der Zug gute 3 Stunden doch mit dem Tagesticket für besagte 11 Eurocent konnten wir ein- und aussteigen soviel wir wollten. Dies haben wir dann an Yangons großem Obst- und Gemüsemarkt gemacht. Hier sind die Gleise der Züge voll in die Marktfläche integriert. Die Händler und Händlerinnen breiten ihre Waren auf den Gleisen aus, kennen offenbar den Fahrplan und kommt dann ein Zug mit seiner atemberauschenden Geschwindigkeit und lautem Signalhorn bleibt immer noch genug Zeit, alles zusammenzupacken. Kaum ist der Zug weg, verwandeln alle mit bewundernswerter Routine die Gleise wieder in Marktfläche.

Wir hatten echten Spass daran, dies wieder und wieder zu beobachten.

Auch von Mandalay aus in die Berge führt eine Zugstrecke, die bei Touristen vor allem deshalb beliebt ist, weil sie in einem Abschnitt über das Goteik Viadukt eine tiefe Schlucht überquert. Dies war unsere zweite Zugfahrt in Myanmar. Bevor es aber losging war in diesem Fall schon der Kauf der Fahrkarten ein interessantes Erlebnis, da wir sie sozusagen in einem mehrstufigen Verfahren erwerben mussten. Gestartet sind wir nicht in Mandalay, sondern in dem Bergort Pyin oo Lwin und uns war klar, dass wir auch nur am hiesigen Bahnhof die Fahrkarten kaufen können - mindestens einen Tag vor Abfahrt. Wir waren nun nicht einen, sondern zwei Tage vorher da. Das ging überhaupt nicht und wir mussten den nächsten Tag wiederkommen und zwar nur zwischen 15:00 und 16:00 Uhr, denn nur dann ist der Fahrkartenschalter für die möglichen zwei (!) Fahrten am kommenden Tag geöffnet, nicht eine Minute früher oder eine Minute später. 

Also reihten wir uns in die Schlange der Wartenden ein, unsere Daten wurden aufgenommen, uns ein Sitzplatz zugeteilt und alles in ein großformatiges Blatt Papier eingetragen. Dann kassierte der Mann hinter dem Schalter den Fahrpreis, nur eine Fahrkarte bekamen wir nicht. Die gibt es nämlich erst am nächsten Morgen, kurz bevor der Zug abfährt. Warum? Alle handschriftlich erfassten Daten müssen in der angrenzenden Schreibstube bis zum nächsten Morgen handschriftlich in die Fahrkarten übertragen werden.

So hatten wir erst kurz vor Abfahrt unsere Fahrkarten in der Hand und ein Blick darauf erleichterte uns sehr, denn im Fahrpreis war gleich eine Lebensversicherung mit eingeschlossen. Allerdings umfasste sie die wenig beruhigende Summe von 1 Kyat (gesprochen: Tschat), was 0,00058 Euro entspricht. Was soll's!

Höhepunkt der Fahrt waren sicher die vorüberziehende Berglandschaft und die Überquerung des Goteik Viadukts, das im Jahr 1900gebaut wurde. Die Brücke überspannt knapp 690m, wobei es unter ihr 250m in die Tiefe geht. Auch auf dieser Fahrt vollführte der Zug wieder ungeahnte Bocksprünge, die von unglaublichem Geschepper begleitet wurden.

Im Inneren der Züge braucht niemand zu verhungern und zu verdursten. Auch ohne Speisewagen ist die Versorgungslage mehr als sicher gestellt. In einem permanenten Fluss bieten Händler Obst, Knabbereien oder ganze warme Mahlzeiten an, ein Angebot, wovon die einheimische Bevölkerung reichlich Gebrauch macht. Aber auch andere wichtige Produkte wie beispielsweise Kurzwaren, Ladekabel und Kopfhörer für Handys oder Haarpflegeartikel lassen sich hier erwerben. In der Regel ist ja ausreichend Zeit für einen ausgiebigen Einkauf.

So war es auch bei unserer letzten Zugfahrt vom Golden Rock zurück nach Yangon. Aber entgegen der bisher genutzten "Ordinary Class" oder schlicht Holzklasse, saßen wir diesmal in der "Upper Class", auf gepolsterten, wenn auch durchgesessenen, Einzelsitzen nebeneinander. Bei 5 Stunden Fahrzeit auch ganz nett.

 

So viel Schönes und Interessantes der Blick aus dem Fenster einer solchen Zugfahrt auch zu bieten hat, so viel Ab- und Erschreckendes ist hier, wie in vielen anderen Ländern auch, gerade direkt neben den Zuggleisen zu sehen. Auch dies gehört zum Bild und zur Realität von Myanmar. Schwer vorstellbar, dass die Berge an Müll und Dreck, in denen Kinder im grünen Brackwasser vor Unterkünften spielen, die wir kaum als solche bezeichnen würden, mal einer besseren Zukunft weichen.